Gastbeitrag von aristo blog
Es gibt viele Themen und Ereignisse die in den Medien stiefmütterlich behandelt werden, obwohl diese von enormer gesellschaftlicher Bedeutung sind. Dazu zählt das Thema Recht und Rechtsprechung. Spektakuläre Urteile wie das Pfandbon-Urteil oder das Brötchen-Urteil finden zwar Eingang in die Medien und werden auch diskutiert, doch eine grundsätzliche Thematisierung findet nicht statt.
Quellen der Zitat befinden sich am Ende des Beitrags.
Ein demokratischer Rechtsstaat zeichnet sich unter anderem dadurch aus, das eine Gewaltenteilung vorliegt und Gesetzgeber und Justiz auf Basis einer Verfassung tätig sind.
Doch das allein ist noch keine Garantie dafür, das „alles mit rechten Dingen“ zugeht, sondern lediglich ein Hinweis, das bestimmte Prinzipien beachtet zu werden scheinen.
Seit 62 Jahren existiert nun das Grundgesetz als höchste Rechtsnorm in Deutschland. Hüter des GG sind die Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe. Mancher stellte sich aber nach dem Lissabon-Urteil, dem Hartz-Urteil und dem Afghanistan-Urteil die Frage, ob dies noch zutrifft. Möglicherweise drehen sich die Väter des GG im Grabe um.
Einer der wichtigsten Artikel des GG lautet:
Art 20
…….
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
…….[1]
Alles klar, könnte man meinen. Dann kann ja nichts passieren. Oder doch?
Die Bindung des Richters an Recht und Gesetz nach Art. 20 GG ist von der Rechtsprechung unter der Ägide des Bundesverfassungsgerichts schon seit Jahrzehnten aufgegeben worden. Das BVerfG vertritt dazu die Auffassung, daß die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz abgewandelt sei. Der Richter sei nach dem Grundgesetz nicht darauf angewiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Er könne sich der „Aufgabe der Fortbildung des Rechts“ nicht entziehen (BVerfGE 34, 286).
Diese über das Prinzip der Gewaltenteilung und die Grenzen des Art. 20 GG hinausgehende Freifahrkarte, die das BVerfG der Rechtsprechung ausstellt, führt nicht nur zur ständigen Schöpfung neuer rechtlicher Vorschriften durch die Rechtsprechung, dabei beispielsweise auch zu solchen, die noch nicht gelten, aber nach der Rechtsprechung des BVerfG erst nach bestimmten Zeitläufen in Kraft treten sollen, ebenso wie manche Vorschriften verfassungswidrig sein, jedoch vorerst befristetet weiter gelten sollen, sondern auch dazu, daß die Bindung an bestehende gesetzliche Vorschriften beliebig beiseite geschoben wird. Das BVerfG hat sich zum Supergesetzgeber aufgeschwungen und stellt den Richter über das Gesetz. Diesem Vorbild folgen nicht nur die Obersten Bundesgerichte, sondern zwischenzeitlich auch häufig die unteren Instanzen, dabei insgesamt begünstigt durch Aktivitäten des Gesetzgebers, der einen unglaublichen Eifer darin entwickelt, eine Fülle von Gesetzen zu produzieren, deren Quantität oft in bemerkenswertem Gegensatz zur Qualität steht. [2]
Wenn Richter nicht mehr an das Gesetz gebunden sind, sondern über dem Gesetz stehen, liegt hier ein klarer Verfassungsbruch vor und der Schritt vom Rechtsstaat zum Richterstaat ist vollzogen und der Unrechtsstaat nicht mehr weit!
Doch dieser Wandel war absehbar und der Gesetzgeber schaute billigend zu.
Die Rechtssprechung hat dazu mystische Formeln erfunden, wie beispielsweise den „Grundgedanken“, das „Leitbild“ oder die „Leitidee“ des Gesetzes. An diesen soll gemessen werden, ob Klauseln sich mit gesetzlichen Vorschriften vertragen oder nicht.
Grundgedanken hat ein Gesetz nicht, weil es nicht denken kann. Wessen Gedanken sind also gemeint? Man könnte sich vorstellen, daß die Rechtsprechung hiermit die Motive des Gesetzgebers und die Gesetzesbegründung ansprechen will.
Aber: Die Motive des historischen Gesetzgebers sind nach der Vorstellung der Rechtsprechung offenbar etwas anderes als der „Grundgedanke“. Dieser soll wohl etwas Zeitloses oder jedenfalls heute Geltendes verkörpern im Gegensatz zu den seinerzeitigen Motiven und Begründungen des Gesetzgebers. Der „Grundgedanke“ (ebenso das „Leitbild“ oder die „Leitidee“) sind also nicht identisch mit dem Inhalt der Rechtsnorm oder deren Wortlaut und auch nicht mit dem, was der Gesetzgeber sich bei Abfassung des Gesetzes gedacht und in die Gesetzesbegründung hineingeschrieben hat. Der“ Grundgedanke“ scheint in der Art einer platonischen Idee über oder hinter der Norm zu schweben und ist, da nicht genau faßbar, auch nicht rational belegbar oder begründbar. Deswegen können aus dem Grundgedanken auch keine zwingenden Folgerungen gezogen werden. Vielmehr wird aus den Leerworten „Grundgedanken“ und „Leitbild“ und „Leitidee“ das herausgeholt, was der Richter zuvor im Wege der sogenannten teleologischen Auslegung (telos = das Ziel, also einer zielgerichteten, voluntativen Auslegung) hineingeheimnißt hat. Das kann morgen etwas ganz anderes sein als heute oder gestern. Vorausberechenbar oder mit rationalen Argumenten definierbar sind „Grundgedanken“, „Leitbilder“ oder „Leitideen“ und das, was man damit eigentlich will, nicht.
Es scheint der Rechtsprechung vorzuschweben, daß „Grundgedanken“, „Leitbild“ und „Leitidee“ die eigentliche Wirklichkeit verkörpern (wie die platonische Idee), die Norm demgegenüber als „Schatten“ verblaßt und daher ihr Inhalt auch übergangen werden kann. Die Rechtssicherheit ist dahin. [3]
ERNST WOLF hat all dies und insbesondere die Vorreiterrolle des BVerfG in diesem Zusammenhang als „Krise des Rechtsstaats“ (Marburg 1995) zutreffend analysiert. Er schreibt dazu:
„Das BVerfG leitet seine Entscheidungen dialektisch aus ,Grundsätzen‘ oder ,Prinzipien‘ ab, die es ,im Wege schöpferischer Rechtsfindung‘ selbst aufstellt und ,Leitsätze‘ verfaßt. Die so gesetzten ,Sätze‘ sind unbegrenzt vermehrbare, änderbare und auswechselbare Scheinsätze ohne Inhalt und Gegenstand (Leersätze), mittels deren die jeweils gewollte Einzelfallentscheidung scheinbar logisch ableitend und allgemein gültig ,begründet‘ wird.
Über das, was als Ergebnis zu judizieren ist entscheidet im Einzelfall der Richterin schöpferischer Rechtsfindung‘ nach politischer Zweckmäßigkeit, die früher Staatsraison‘ genannt wurde, d. h. nach den politischen Machtverhältnissen vom gewollten Ergebnis her und zu diesem hin.„[3]
Hat man obiges zur Kenntnis genommen, erscheint die Position und die Aufgabe der Verfassungsrichter in einem ganz anderen Licht.
Auch oben genannte Urteile des BVerfG sind nun „erklärbar“ geworden. Recht ist was nützt!
Deswegen habe ich auch keine Hoffnung mehr, das das BVerfG auf der Grundlage von Gesetzen ein Urteil über die EU-Rettungsschirme fällen wird, sondern, wenn überhaupt, mit dem Argument, „höheren Schaden“ abwenden zu wollen, durchwinken wird.
Interessant ist auch, wie die Verfassungsrichter bestimmt werden. Gewählt werden die Richter zur einen Hälfte von einem Wahlausschuß des Bundestages und zur anderen Hälfte vom Bundesrat.
„Die politische Zweckmäßigkeit eines Urteils ist als Maßstab an die Stelle von Wahrheit und Gerechtigkeit getreten.“
Rolf Bossi, „Halbgötter in Schwarz, Deutschlands Justiz am Pranger“, Goldmann Verlag, Seite 271 – 272“
Diese Entwicklung ist mehr als nur besorgniserregend, sie ist gefährlich und gefährdet die Demokratie. Betrachtet man dann noch die Entwicklung in Politik und Wirtschaft, die Hand in Hand gehen, muß man zu dem Schluß kommen, das die Regularien unserer Demokratie versagen, weil untauglich.
Unser Grundgesetz und die Verfassungshüter werden zur Makulatur.
Ich werde diese Thema in einem weiteren Beitrag aufnehmen. Hier etwas zur Entspannung.
Quellen:
[1] http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_20.html
[2] http://www.bghanwalt.de/veroeffentlichu … _r36_c.htm
[3] http://www.bghanwalt.de/veroeffentlichu … _r36_c.htm